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100 Jahre Kommunistische Partei Chinas

Was nicht passt, wird passend gemacht

von Prof. Dr. Klaus Mühlhahn | Zeppelin Universität
26.05.2021
Chinas Medien sind voll von Berichten über die großen ruhmreichen Ereignisse in der Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas. Das Ziel ist offenkundig: die Parteigeschichte in eine Quelle des Stolzes, der Inspiration und der spirituellen Stärke zu verwandeln.

Prof. Dr. Klaus Mühlhahn
Präsident und Geschäftsführer der Zeppelin Universität und Inhaber des Lehrstuhls für Moderne China-Studien
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Klaus Mühlhahn

    Klaus Mühlhahn hat am 1. Juni 2020 sein Amt als Präsident der Zeppelin Universität angetreten. Zuvor war er seit 2018 Vizepräsident an der FU Berlin für die Bereiche Forschung, Nachwuchsförderung sowie Wissenstransfer und Ausgründungen. Mühlhahn gilt als einer der renommiertesten Sinologen in Deutschland. Nach dem Studium der Sinologie und der Promotion an der FU Berlin führte ihn sein wissenschaftlicher Weg zunächst von 2002 bis 2004 als Visiting Fellow an das Center for Chinese Studies der University of California, Berkeley. Weitere Stationen waren von 2004 bis 2007 als Professor für gegenwärtige chinesische und asiatische Geschichte das Institut für Geschichte der University of Turku, Finnland, und von 2007 bis 2010 als Professor für Geschichte und außerordentlicher Professor für ostasiatische Sprachen und Kulturen die Indiana University Bloomington, USA, bevor Mühlhahn im selben Jahr als Professor für chinesische Geschichte und Kultur an die FU Berlin zurückkehrte. An der Zeppelin Universität übernimmt Mühlhahn den Lehrstuhl für Moderne China-Studien.

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Das Zentrum für die Meldung illegaler und schädlicher Informationen der zentralen Cyberspace-Administration gab am 9. April auf Weibo – dem chinesischen Twitter – bekannt, dass es auf seinem Portal eine neue Einrichtung zur Bekämpfung des „historischen Nihilismus“ etabliert habe. Netizens, die besorgt sind über Nachrichten, die die Geschichte der Partei oder des Neuen China verzerren, die Parteiführung oder Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) angreifen oder die Märtyrer der Parteigeschichte verleumden, haben jetzt eine bequeme Möglichkeit, ihre Bedenken den Behörden zu melden.


Neu ist nun nicht, dass die Bürger dem Staat politisch Anstößiges berichten sollen. Seit Jahren betreibt das Zentrum ein Portal für die Meldung schädlicher Informationen, die in neun Kategorien unterteilt sind, darunter Terrorismus, Glücksspiel, Betrug, Pornografie, Verbreitung von Gerüchten, niedrige Moral und Angriffe auf Partei und Staat. Die öffentlich zugänglichen Statistiken zeigen, dass bei Weitem die meisten Anzeigen sich auf Kurznachrichten auf Weibo beziehen (die Suchmaschine Baidu landet auf einem entfernten zweiten Platz). Neu ist das Augenmerk auf die Parteigeschichte – nur die Corona-Pandemie ist das einzige andere Problem, das aktuell die gleiche Aufmerksamkeit erhält. Die Behörden der Volksrepublik China sind offenbar ebenso besorgt über das, was sie als Verzerrungen der Parteigeschichte betrachten, wie über Covid-19.


Bereits am 26. Februar erschien außerdem eine neue Version der „Kurzen Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas“, die von der Volkspresse herausgegeben wurde. Das Buch bietet eine aktuelle Anleitung für das, was Peking heute als das richtige Verständnis der Parteigeschichte ansieht. Es ersetzt die Ausgabe von 2010, als Hu Jintao Generalsekretär der KPCh und Präsident von China war. Die neue Version verehrt Mao Zedong als unerschrockenen und selbstlosen Kämpfer gegen Korruption und Bürokratie – eine Rolle, in der der gegenwärtige Präsident Xi Jinping sich selbst sieht. Über die Verantwortung des Großen Vorsitzenden für die Hungersnot während das Großen Sprungs nach vorn (1959-1960) und die Gewalt während der Kulturrevolution (1966-1976) wird nichts gesagt.

In der Mitte der Welt angekommen: Xi Jinping (vordere Reihe, 5. v. r.) ist Chef der Kommunistischen Partei Chinas und als Staatsoberhaupt nicht mehr von der internationalen Bühne wegzudenken. Sein Führungsanspruch ist dabei klar. So etwa, wie er im Januar während einer Studiensitzung an einer Parteischule den politischen Nachwuchs einschwor. Dort lobte er China für den Umgang mit der Pandemie und rief das Land zu mehr Selbstständigkeit auf: „Danach zu urteilen, wie unterschiedliche Führungen und politische Systeme in der Welt mit der Pandemie umgegangen sind, können wir deutlich sehen, wer es besser gemacht hat.“ China hat unter Xi Jinping eine politische Rezentralisierung erlebt. Zuletzt wurde das Land unter Mao Zedong in diesem Stil geführt. Gleichzeitig lässt Xi mit den wirtschaftlichen Erfolgen von Chinas Unternehmen einen scharfen Nationalismus im Land propagieren, der jetzt auch ins Ausland getragen wird.
In der Mitte der Welt angekommen: Xi Jinping (vordere Reihe, 5. v. r.) ist Chef der Kommunistischen Partei Chinas und als Staatsoberhaupt nicht mehr von der internationalen Bühne wegzudenken. Sein Führungsanspruch ist dabei klar. So etwa, wie er im Januar während einer Studiensitzung an einer Parteischule den politischen Nachwuchs einschwor. Dort lobte er China für den Umgang mit der Pandemie und rief das Land zu mehr Selbstständigkeit auf: „Danach zu urteilen, wie unterschiedliche Führungen und politische Systeme in der Welt mit der Pandemie umgegangen sind, können wir deutlich sehen, wer es besser gemacht hat.“ China hat unter Xi Jinping eine politische Rezentralisierung erlebt. Zuletzt wurde das Land unter Mao Zedong in diesem Stil geführt. Gleichzeitig lässt Xi mit den wirtschaftlichen Erfolgen von Chinas Unternehmen einen scharfen Nationalismus im Land propagieren, der jetzt auch ins Ausland getragen wird.

Um diejenigen zu erreichen, die das Buch nicht kaufen, wurde eine Kampagne gestartet, um Chinas Bürger über die Geschichte der KPCh aufzuklären – diese Kampagne ist daher eine hervorragende Quelle, wenn es um das richtige Verständnis der Pateigeschichte geht. Chinas Medien sind voll von Berichten über die großen ruhmreichen Ereignisse in der Geschichte der KPCh. Gefeiert wird nicht nur die Gründung der Partei vor 100 Jahren, sondern auch der Kampf gegen die Einkreisung des Jiangxi-Sowjets durch die Armee der nationalistischen Regierung in den 1930er-Jahren, die Zunyi- Konferenz während des Langen Marsches, die Kämpfe der Roten Armee der KPCh während des Widerstandskrieges gegen Japan, des Bürgerkrieges und des Koreakrieges sowie der Beginn der Reformen unter Deng Xiaoping. Parteigliederungen im ganzen Land lesen und analysieren in ihren regelmäßigen Treffen die Geschichte der KPCh.


Das Ziel ist offenkundig: die Parteigeschichte in eine Quelle des Stolzes, der Inspiration und der spirituellen Stärke zu verwandeln. Der aktuelle Leitspruch lautet: „Vergessen Sie nicht unsere ersten Inspirationen; vergessen Sie nie unsere Mission.“ Nach der Kulturrevolution stand Chinas Kampf gegen die Fremdherrschaft und insbesondere Chinas Sieg über Japan anstelle der kommunistischen Revolution im Mittelpunkt der Propaganda. Dies passte zur Stärkung des Nationalismus in China seit den 1980er-Jahren und erzählte eine Geschichte, die für die erhoffte Wiedervereinigung zwischen der Volksrepublik China und Taiwan geeignet war.


Das Problem war, dass die Streitkräfte der KPCh während des Zweiten Weltkrieges kaum ernsthafte Kämpfe führten. Der Mythos, dass die Nationalisten von Chiang Kaishek an der Front Krieg führten, während die Kommunisten dies in Guerillaaktionen im Innern der japanisch besetzten Gebiete taten, und dass beide Taktiken für den Sieg notwendig waren, war nie wirklich überzeugend. Bekanntlich gab Mao Zedong selbst in den 1950er-Jahren zu, dass die Kommunisten ohne die Japaner immer noch in den Bergen wären. Mit der Annäherung an Taiwan, die angesichts des harten politischen Vorgehens in Hongkong verblasst, ist eine Rückkehr zur Partei als Urheber aller Erfolge und als einzige Garantie für künftigen Wohlstand zum Mantra der Parteipropaganda geworden.

Die Verleumdung von Märtyrern gilt als schlimmste Handlung des historischen Nihilismus. Dieser Begriff, der in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat, zielt auf die historisch Interessierten ab, die im Namen der historischen Forschung neue Interpretationen der Selbststärkungsbewegung der Qing, der Revolution von 1911, des Zweiten Weltkrieges und des Maoismus entwickelten und sogar dazu aufforderten, sich „von der Revolution zu verabschieden“, wie es der Geisteswissenschaftler Li Zehou in den 1980er-Jahren getan hat. An diejenigen zu erinnern, die große Opfer für die KPCh gebracht haben – einschließlich ihres eigenen Lebens –, ist ein zentrales Thema in den Gedenkfeiern zur Gründung der KPCh. Soldaten nehmen dabei einen hohen Stellenwert ein. Xi Jinping hat 2014 einen nationalen Märtyrer-Gedenktag ins Leben gerufen. Seither werden immer am 30. September – dem Jahrestag der Enthüllung der Statue der Volkshelden auf dem Platz des Himmlischen Friedens – Kränze auf Gräber gelegt, Nachkommen und Verwandte von Gefallenen besucht und Gedenkveranstaltungen in ganz China durchgeführt.


Manya Koetske berichtete im April 2019 auf der Website „Was auf Weibo berichtet wird“, dass das Weibo-Konto des chinesisch-dänischen Schauspieler Zhao Lixin blockiert wurde, nachdem er die japanische Besetzung von Peking als weniger gewalttätig als die von Nanjing beschrieb. Die Berichterstattung über den Tod der vier Soldaten, die beim jüngsten Grenzkonflikt mit Indien ums Leben kamen, unterstrich ihren Patriotismus, ihr selbstloses Heldentum und ihre Bereitschaft, für ihr Land zu sterben. Es ist nicht überraschend, dass die Volksrepublik China seit einigen Jahren intensiv bemüht ist, ein positives Image der Volksbefreiungsarmee zu fördern, nachdem sie zu einer Supermacht mit einer entsprechenden Streitmacht geworden ist. Wenn Chinas Anspruch auf Größe jetzt auf seiner militärischen Macht beruht, muss die Volksbefreiungsarmee etwas sein, auf das das Land stolz sein kann.


Außerhalb Chinas wurde dem 100. Jahrestag der KPCh bisher viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Harvard University Press hat ein Buch des Politikwissenschaftlers Tony Saich mit dem Titel „From Rebel to Ruler: One Hundred Years of the Chinese Communist Party“ veröffentlicht, das die Anpassungsfähigkeit der Partei an neue Bedingungen betont. Anja Blanke beschreibt in „Der Kampf um Chinas kollektives Gedächtnis: Offizielle und inoffizielle Narrative zur Kampagne gegen Rechtsabweichler (1957-58)“, wie die Partei seit dem Tode Mao Zedongs um einen Konsens über den Umgang mit ihrer eigenen Vergangenheit ringt und wie die von ihr geschaffenen Narrative immer wieder herausgefordert werden. Bei Cambridge University Press ist gerade das von Timothy Cheek, Hans van de Ven und mir herausgegebene Buch „The Chinese Communist Party: A Century in Ten Lives“ erschienen. Es bietet zehn biographische Geschichten, eine für jedes Jahrzehnt, über politische Führer, Theoretiker, Aktivisten oder auch Opfer der Partei. Das differenzierte Mosaik ganz persönlicher Erfahrungen zeigt, wie es war, mit, in und unter der KPCh zu leben. Wenn jemand Anstoß an dem Inhalt des Buches oder der Geschichten nimmt, kann er einen Bericht unter www.12377.cn einreichen oder in China ganz einfach die Nummer 12377 wählen.


Dieser Artikel erscheint demnächst auch im Online-Magazin ChinaFile.

Zu Chinas Erfolgsrezept zählte in den vergangenen Jahren auch das schier ungebrochene Wachstum der Volksrepublik – wieder einmal bewiesen im April dieses Jahres. Der Außenhandel der Volksrepublik hat mit der Erholung von der Corona-Pandemie unerwartet kräfig zugelgt. Im April stiegen die Exporte in US-Dollar berechnet um 32,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, wie der Zoll in Peking berichtete. Experten hatten eine leichte Abschwächung im Exportwachstum erwartet, die sich aber nicht einstellte. Dafür könnte China bald ein ganz anderes Problem bekommen: Das Land steht vor einer demografischen Krise. Erstmals seit Jahrzehnten soll die Bevölkerung im vergangenen Jahr geschrumpft sein, heißt es. Durch das sinkende Arbeitsangebot – bis 2050 wird die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter um 200 Millionen zurückgehen – verliert eine wichtige Determinante des Wirtschaftswachstums an Bedeutung. Und das umlagefinanzierte Pensionssystem könnte 2035 defizitär werden.
Zu Chinas Erfolgsrezept zählte in den vergangenen Jahren auch das schier ungebrochene Wachstum der Volksrepublik – wieder einmal bewiesen im April dieses Jahres. Der Außenhandel der Volksrepublik hat mit der Erholung von der Corona-Pandemie unerwartet kräfig zugelgt. Im April stiegen die Exporte in US-Dollar berechnet um 32,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, wie der Zoll in Peking berichtete. Experten hatten eine leichte Abschwächung im Exportwachstum erwartet, die sich aber nicht einstellte. Dafür könnte China bald ein ganz anderes Problem bekommen: Das Land steht vor einer demografischen Krise. Erstmals seit Jahrzehnten soll die Bevölkerung im vergangenen Jahr geschrumpft sein, heißt es. Durch das sinkende Arbeitsangebot – bis 2050 wird die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter um 200 Millionen zurückgehen – verliert eine wichtige Determinante des Wirtschaftswachstums an Bedeutung. Und das umlagefinanzierte Pensionssystem könnte 2035 defizitär werden.

Titelbild: 

| Kevin Olson / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Kremlin.ru (CC BY 4.0) | Link

| Songshu888 / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Klaus Mühlhahn

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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