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In den vergangenen Wochen wurde unter dem Eindruck des umstrittenen Klimaschutzurteils des Bundesverfassungsgerichts die Diskussion um den Umgang mit innerdeutschen Flügen beziehungsweise Kurzstreckenflügen neu entfacht. Anlass war ein Interview der grünen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock mit der „Bild am Sonntag“. Laut ihrem Statement gegenüber diesem Blatt sollte es solche Flüge „perspektivisch nicht mehr geben“, wenn sie ins Kanzleramt einzöge. Auch eine klimagerechte Besteuerung von Flügen plant sie, damit „Dumpingpreise“ gestoppt würden. Bereits in einem ZDF-Interview einige Tage vorher waren von Frau Baerbock kryptische Aussagen zur Zukunft des Luftverkehrs zu hören: Mit ihr als Kanzlerin werde es für die Bundesbürger keine Beschränkung der Zahl von Flugreisen im Jahr geben, aber der globale Flugverkehr insgesamt müsse begrenzt werden.
Andere Politiker schlossen sich zumindest der Forderung nach verbindlichen Preisuntergrenzen für Flugtickets an. So forderte Olaf Scholz, Spitzenkandidat der SPD für die nächste Bundestagswahl, einen Mindestpreis für Flugtickets von 50 Euro nach österreichischem Vorbild. Sogar der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Ulrich Lange signalisiert Unterstützung, um Dumpingpreise für Flugtickets zu verhindern.
Das alles ist wohl etwas zu kurz gedacht und selbstverständlich ein ordnungspolitischer Sündenfall ersten Ranges. Aber daran hat man sich in Deutschland angesichts von Mindestpreisen, Mietendeckeln, allfälligen Quoten und einer weitgehend planwirtschaftlich verfassten Klimapolitik wohl schon gewöhnt. Abgesehen davon, dass auch eine grüne Bundeskanzlerin kein Jota an der Entwicklung des globalen Luftverkehrs ändern können wird, hat es mit den Kurzstreckenflügen in Deutschland aber seine Tücken, und zur klimagerechten Besteuerung und zu Mindestpreisen gibt es auch einiges zu sagen. Aber der Reihe nach.
Wie der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft in einer Replik auf die Einlassungen der grünen Kanzlerkandidatin richtig feststellt, haben Kurzstreckenflüge nur einen Anteil von 4 Prozent an allen inländischen Reisen. Der innerdeutsche Luftverkehr trägt laut Verbandsangaben 0,3 Prozent zu den gesamten CO2-Emissionen in Deutschland bei. Ein Verbot von (innerdeutschen) Kurzstreckenflügen wäre demnach reine Symbolpolitik – mit beträchtlichen Kollateralschäden, weil wichtige Hub-Zubringerverkehre zu internationalen Drehkreuzen und für Geschäftsreisende hochrelevante Tagesrandverbindungen wegfallen würden. Allerdings sind rund 40 Prozent der Deutschen laut einer von „Tagesspiegel Background“ in Auftrag gegebenen Civey-Umfrage der Meinung, dass sich damit die Emissionen im Verkehr besonders schnell senken ließen.
Hier scheint die anhaltende Propaganda in Sachen Klimaschädlichkeit des Luftverkehrs bereits verfangen zu haben, aber Wahrnehmung und Fakten klaffen offensichtlich auseinander. Wie aktuelle eigene Forschungsergebnisse zeigen, führt ein Verbot von Kurzstreckenflügen in einer Simulationsstudie sogar zu mehr Verkehrsaufwand und ceteris paribus zu höheren Treibhausgasemissionen in einer Größenordnung von 3 Prozent bezogen auf den Referenzfall. Dies lässt sich durch den Anstieg der Pkw-Fahrleistungen zwecks Substitution entfallender Flüge und die durchschnittliche Verbilligung der Mobilität erklären.
Eine vordergründig als sinnvoll erscheinende klimapolitische Maßnahme zieht also aufgrund der bei genauerer Analyse durchaus erwartbaren Folgeeffekte eine Netto-Erhöhung der Emissionen nach sich. Selbstverständlich wäre es möglich, mittels begleitender repressiver verkehrspolitischer Maßnahmen das Wachstum des Pkw zu begrenzen und damit auch die Höhe der Emissionen; dies ändert jedoch nichts daran, dass ein Wegfall der Inlandsflüge zumindest in der Modellbetrachtung zu kontraproduktiven Effekten führt; auf die möglicherweise beträchtlichen Nutzeneinbußen für Verkehrsteilnehmer und die Volkswirtschaft insgesamt sei hier nur anekdotisch verwiesen.
Zudem steht zu befürchten, dass auf den wichtigsten innerdeutschen Verbindungen tageszeitbasiert die erforderlichen Kapazitäten für die Verlagerung auf den Schienenfernverkehr gar nicht vorhanden sind. Zumindest in der Welt vor Corona waren die ICE der Deutschen Bahn auf den relevanten Routen zu den Stoßzeiten in den Morgenstunden so stark ausgelastet, dass die durchaus zahlreichen Flugpassagiere nicht ohne Weiteres hätten aufgenommen werden können. Hinzu kommen eventuelle Reisezeitnachteile und Komforteinbußen. Daher ist die Bahn aller Voraussicht nach für einen großen Teil der innerdeutschen Flugpassagiere nur sehr bedingt eine Alternative. Sollte sich das in absehbarer Zeit ändern, werden innerdeutsche Kurzstreckenflüge von selbst vom Markt verschwinden.
Ein Verbot rein nationaler Flüge wird allerdings immer wieder diskutiert – zuletzt im Zuge der spektakulären staatlichen Rettung der Lufthansa im Frühjahr 2020, die als dominanter Player im innerdeutschen Luftverkehr auftritt. Vorbild sind Entwicklungen in Frankreich, wo innerfranzösische Kurzstreckenflüge verboten werden (sollen), wenn eine alternative Zugverbindung mit Reisezeiten unter zweieinhalb Stunden verfügbar ist. Aber auch hier lohnt es sich, das Kleingedruckte zu lesen. So gilt diese Regelung nicht für Zubringerflüge zu Hubs, die Teil eines internationalen Fluges sind. Beobachter schätzen, dass von dieser plakativ angekündigten Klimaschutzmaßnahme letztlich nur 12 Prozent der innerfranzösischen Flugpassagiere betroffen sind.
Alle Diskutanten haben aber unisono nicht im Blick, dass der innereuropäische und damit auch der innerdeutsche Flugverkehr keiner zusätzlichen klimapolitischen Maßnahmen bedarf, da er bereits seit 2012 Teil des europäischen Emissionshandelssystems für Treibhausgase (EU ETS) ist. Luftfahrzeugbetreiber müssen Emissionszertifikate in Höhe ihrer verifizierten CO2-Emissionen nachweisen. Ein Verbot des innerdeutschen Luftverkehrs bewirkt also klimapolitisch überhaupt nichts, da die Emissionen ja innerhalb des Systems gedeckelt sind, und lediglich jemand anderes das Emissionsrecht nutzen kann, wenn nicht geflogen wird. Da insbesondere der Straßenverkehr nicht Teil des EU ETS ist, erhöht jede auf die Straße verlagerte Flugreise sogar zwangsläufig die Treibhausgasemissionen. Vielen angeblichen Experten für Klimapolitik scheint dieser Zusammenhang nicht klar zu sein, sonst würden sie sich so vehement nicht für eine Begrenzung von Flugreisen einsetzen.
Ursprünglich sollten alle Flüge, die innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) starten oder landen, Teil des EU ETS werden, also auch alle Interkontinentalflüge („full scope“). Dies scheiterte allerdings am Widerstand wichtiger globaler Luftverkehrsmächte; daher sind derzeit nur Flüge, die innerhalb des Hoheitsgebiets des EWR starten und landen, Teil des Systems („reduced scope“). Notabene werden auf höchster völkerrechtlicher Ebene – nämlich unter der Ägide der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit 193 Mitgliedsstaaten – die Klimaschutzanstrengungen im Luftverkehr global im Rahmen des Projektes „CORSIA“ gebündelt. Über deren Anspruchsniveau kann man sicherlich diskutieren, aber die Emissionsregulierung innerhalb des EWR greift wirksam.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die externen Klimakosten des innereuropäischen Luftverkehrs sind über die politisch vorgegebene Einbeziehung in das europäische Emissionshandelssystem schon längst internalisiert; bei Zertifikatspreisen von aktuell um 50 Euro je Tonne CO2, die angesichts der angestrebten Klimaziele in der EU perspektivisch weiter steigen werden, erübrigt sich folglich die Forderung nach zusätzlichen Steuern und Abgaben. Wenn Frau Baerbock es „nicht fair findet, dass mit unser aller Steuergeld das Kerosin subventioniert wird, während Fernfahrten mit der Bahn gerade zu Stoßzeiten teuer sind“, offenbart dies einen rein ideologisch-moralischen Standpunkt, der von keinerlei Sachkenntnis getrübt zu sein scheint. Bei Entscheidungen über ökonomisch relevante Fragen hilft aber in der Regel ein gewisser ökonomischer Sachverstand. Und dieser sagt, dass es gerade volkswirtschaftlich nützlich ist, zu Stoßzeiten höhere Preise zu fordern als in Perioden schwacher Nachfrage.
Außerdem ist es ein Ammenmärchen zu glauben, dass mit unser aller Steuergeld Kerosin subventioniert wird. Die in Kreisen der Luftverkehrsgegner umstrittene Steuerfreiheit des Kerosins ist im Wesentlichen auf die Regelungen des von der ICAO verwalteten Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt (Chicagoer Abkommen) von 1944 zurückzuführen. Im nationalen Verkehr wäre eine solche Steuer zwar grundsätzlich umsetzbar, aber angesichts der Belastung der Branche mit der Luftverkehrssteuer und der Finanzierung der Infrastrukturen über das System der Start-, Lande- und Flugsicherungsgebühren reine Willkür. Diskussionsbedarf gibt es lediglich bei politisch protegierten chronisch defizitären Regionalflughäfen.
Umgekehrt wird allerdings die Infrastruktur des Schienenverkehrs jährlich mit Milliardenbeträgen subventioniert. Ohne diese Finanzspritzen wäre das ohnehin schon beträchtliche Tarifniveau im Hochgeschwindigkeitsverkehr der Deutschen Bahn noch einmal deutlich höher beziehungsweise die Bahn wahrscheinlich nicht mehr im Fernverkehrsmarkt vertreten. Zu erinnern ist auch daran, dass im Zuge der Klimaschutzgesetzgebung eine massive Erhöhung der Sätze der Luftverkehrssteuer ab dem 1. April 2020 beschlossen wurde. Mit den geplanten Mehreinnahmen von knapp über 500 Millionen Euro sollten ausdrücklich die entfallenden Einnahmen der Mehrwertsteuersenkung für Bahnfernreisen kompensiert werden (!). So viel zum Thema Kostenwahrheit.
Die Diskussion um eine „klimagerechte Bepreisung“ des Luftverkehrs ist also ein Scheinriese, der kollabiert, wenn man sich die Fakten genauer anschaut. Ähnliches gilt auch für das Argument der angeblichen „Dumpingpreise“, das der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft allerdings gar nicht so schlecht findet. Er fordert von der Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für eine Regulierung einzusetzen, die „Dumpingpreise“ verhindere, was immer auch ein Politiker oder Branchenlobbyist als „Dumpingpreis“ empfindet.
Wie bereits angesprochen, gibt es politisch einigen Zuspruch für eine EU-weite Regelung zu Preisuntergrenzen. Zu denken geben sollte, dass ein Vorstandsmitglied der teilverstaatlichen Lufthansa sich in der Diskussion ebenfalls für ein Mindestpreisregime im europäischen Luftverkehr ausgesprochen hat. Hier sind wohl ausgemachte ordnungspolitische Tiefflieger unterwegs: Es darf am europäischen Himmel nicht zu viel Wettbewerb herrschen, wenn die staatlich gestützten Dinosaurier unter den Fluggesellschaften nach Corona ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen.
PS: Frau Baerbock hat auf die geharnischte Kritik an ihrem Vorstoß gegen Kurzstreckenflüge im Rahmen einer Pressekonferenz sofort reagiert: „Es geht nicht um ein Verbot von Flügen, sondern darum, dass wir den Ausbau der Bahn massiv voranbringen müssen.“ Niemand hat also die Absicht, Kurzstreckenflüge in Deutschland zu verbieten. Und alle vertrauen auf die Verkehrswende mit der Bahn.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Alexander Eisenkopf
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm