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Professor Dr. Lucia A. Reisch, Jahrgang 1964, studierte in Hohenheim und Los Angeles (USA). Zwischen 1988 und 2004 war sie Assistentin am Lehr- und Forschungsbereich Konsumtheorie und Verbraucherpolitik der Universität Hohenheim, wo sie 1994 promovierte. 2006 erhielt sie einen Ruf als Professorin für interkulturelles Konsumverhalten und europäische Verbraucherpolitik an die Copenhagen Business School. Darüber hinaus ist sie seit 2011 DIW Research Professor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie ständige Gastprofessorin für Konsumverhalten und Verbraucherpolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
Ihrer Ansicht nach sollen Politiker Menschen so nehmen wie sie sind und so auch ihre Politik machen. Wie soll sich das Verbraucherverhalten dann aber ändern? Kommt diese Aussage nicht einer Kapitulation gleich?
Professor Dr. Lucia Reisch: Nein, denn das Verhalten wird auf Dauer nur realistischer, effektiver und effizienter. Aus dem Marketing weiß man: Je mehr man über seine Zielgruppe weiß und je ernster man dieses Wissen in Strategien und Instrumente umsetzt, desto effektiver kann man Verhalten beeinflussen.
Wenn bloße Verbraucherinformation nicht hilft, das Verhalten nachhaltig zu ändern, wo sollte dann angesetzt werden, um das Verbraucherverhalten positiv zu beeinflussen?
Reisch: Mann muss direkt am Verhalten ansetzen, denn die in alten Konsumverhaltensmodellen verbreitete Vorstellung, Verhalten werde überwiegend durch kognitive Prozesse wie Wissen und Einstellungen bestimmt, entspricht nicht der Empirie. Der weitaus größere Teil der Konsumentscheidungen ist gar nicht kognitiv gesteuert, sondern beruht auf Gewohnheiten, Emotionen und externen Stimuli. Einen vielversprechenden Ansatz bietet die verhaltensbasierte Regulierung, die auf Veränderung von Kontexten sowie auf kleine Anreize, sogenannte ‚nudges’, setzt, die Menschen in ein bestimmte Richtung "stupsen". Dabei handelt es sich um Instrumente, welche die Freiheit der Konsumenten erhalten. Schließlich kann man sich jederzeit anders entscheiden – ganz im Gegensatz zu Verboten oder Geboten, bei denen es keine Freiheitsgrade gibt. "Libertärer Paternalismus" wird dieser Ansatz daher oft genannt.
Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, wie Menschen in ihrem Verhalten besonders positiv beeinflusst werden können? Was macht den Unterschied aus?
Reisch: Es gibt eine breite empirische Literatur, insbesondere experimentelle Forschung, welche die Effektivität und Effizienz dieser Ansätze des ‚nudging’ zeigt. Beispielsweise haben ‚Defaults’, also Voreinstellungen, sehr starke Verhaltenswirkungen. Erfolgreiche Beispiele kommen aus dem Bereich der Organspende, der erneuerbaren Energien, der Altersvorsorge und der gesunden Ernährung. Menschen tendieren dazu, bei Defaults zu bleiben und sich nicht aktiv gegen Voreinstellungen zu wenden. Dies kann eine smarte Politik nutzen. Das Gleiche gilt für soziale Normen, die häufig wirksamer sind als finanzielle Anreize.
Welche Beobachtungen lassen sich hinsichtlich der Wirksamkeit von Verbraucherinformationen bei den verschiedenen Bildungsschichten machen? Können bildungsferne Gruppen überhaupt erreicht werden?
Reisch: Es gibt nicht ‚den’ Verbraucher, sondern viele verschiedene Typen. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Verbraucherpolitik unterscheidet zwischen vertrauenden, vulnerablen und verantwortlichen Verbrauchern. Erste wollen nur wenige, aber glaubwürde Signale, etwa glaubhafte Labels auf dem Markt vorfinden. Vulnerable Konsumenten sind oft schwer erreichbar, insbesondere durch reine Information, die oft einiges an Konsumkompetenz erfordert. Hier kann man mit persönlicher Vor-Ort-Beratung und finanziellen Anreizen einiges erreichen. Dagegen sind die verantwortlichen Konsumenten meist auch ‚information seekers’. Für sie sollte man auch anspruchsvolle Kommunikaion anbieten. Insgesamt sollte weniger auf Information, und mehr auf die Veränderung und Verbesserung der Einkaufs- und Verhaltenskontexte gesetzt werden. Die Amerikaner nennen das anschaulich ‚smart choice architecture’.
Selbst grausame Bilder auf Zigarettenpackungen, deutliche Preiserhöhungen und Rauchverbote in Gaststätten hält viele nicht vom Rauchen ab. Wo sind den Möglichkeiten einer sinnvollen Verbraucherbildung ihre Grenzen gesetzt?
Reisch: Genau diese Instrumente haben sich aber als ziemlich effektiv erwiesen: Grausige Bilder als Warnhinweise sagen mehr als Worte, und stoßen tatsächlich ab. Deutliche Preiserhöhungen haben zumindest kurz- bis mittelfristig einen Effekt, vor allem, wenn es keine Ausweichmöglichkeiten auf andere Länder, das Internet oder alternative Produkte gibt. Auch die Rauchverbote in Gaststätten - also die Veränderung des Kontexts - hat enorm dazu beigetragen, dass weniger geraucht wird. Verbote haben auch einen Effekt auf soziale Normen.
Bleibt am Ende nicht trotzdem nur die „Holzhammermethode“ mit höheren Steuern auf Alkohol und Zigaretten und höheren Krankenkassenbeiträgen für Übergewichtige?
Reisch: Das kann man so allgemein nicht sagen. Jedes Problem erfordert als erstes eine genaue empirische Analyse von Kosten und Nutzen, der genauen Umstände und des regulativen Rahmens. Dann kann man passende Instrumente entwickeln und im Voraus empirisch austesten, welches Design am effektivsten und effizientesten ist. Dies wird zunehmend auch gemacht, beispielsweise in Großbritannien und in den USA, wo so genannte "Nudge Units" eingerichtet worden sind. Hier wird vor der breiten Einführung eines Politikintruments in kleinen Gruppen seine Wirksamkeit und Verständlichkeit getestet.
Titel: Songkran (CC BY NC-SA 2.0)
Text: FotoGraf-Zahl (CC BY NC-SA 2.0) | LeRamz (CC BY-NC-SA 2.0)