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Die gebürtige Hamburgerin Isabelle Ermer schloss im Januar 2016 ihr Masterstudium im Fach Communication and Cultural Management an der Zeppelin Universität ab. Zuvor hatte Ermer in Wien ihren Psychologie-Bachelor an der Sigmund Freud Privatuniversität abgeschlossen. Praktische Erfahrungen sammelte sie bisher unter anderem bei der Brooklyn Soap Company, der MINI/BMW Group, der Hotcake Branding und Design GmbH oder Abercrombie and Fitch. An der Zeppelin Universität brachte sich Ermer unter anderem in den Organisationsteams der Workshop- und Karrieretage ZUtaten und der Langen Nacht der Musik ein.
„Mich interessiert vor allem, ob Frauen überhaupt Führungsverantwortung übernehmen wollen“, sagt Ermer. Schließlich seien die Fragen des Könnens und Dürfens bereits ausgeleuchtet worden. „Wir kennen in der Frauenführungsforschung zwei grundsätzliche Barrieren, strukturelle und individuelle, die in ungefähr gleicher Weise bis anhin jeweils beforscht wurden“, sagt Dr. Angelica V. Marte, Gastwissenschaftlerin und Senior Lecturer für Leadership & Diversity am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ an der Zeppelin Universität und Betreuerin der Masterarbeit von Isabelle Ermer.
In der Wissenschaft kann etwa anhand der „Role Congruity Theory“ erklärt werden, warum Frauen und Führung vermeintlich nicht zueinander passen. Die Stereotype und Attribute, die man Frauen zuschreibt— wie etwa kollaborativ, fürsorglich oder emphatisch zu sein — passen nicht zum Idealbild von Führung. Dies wird in vielen Köpfen noch immer mit einem rationalen, entscheidungsfreudigen und durchsetzungsfähigen Mann aus der Chefetage assoziiert. Und während die Wissenschaft erklärt, versucht die Politik, Frauen durch die gläserne Decke zu heben: Die Rede ist von der Einführung von Frauenquoten, des Home Offices oder verbesserter Kinderbetreuung.
Das alles hilft allerdings nicht, wenn diejenigen, die gefördert werden sollen, sich anders entscheiden. Die Forschungslücke, die Ermer mit ihrer Arbeit schließen wollte, bezieht sich dabei auf eine Generation, die bereits von Emanzipierung und Chancengleichheit der Geschlechter profitiert: die Generation Y. „Diese Arbeit leistet dazu einen empirisch sehr wertvollen Beitrag aus psychologischer Perspektive“, sagt Marte. „Dieser Generation ist hinsichtlich dieser Fragestellung noch keine wissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt worden.“ Die Motivation für ihre Arbeit speist sich für Ermer zudem aus einem ganz praktischen und persönlichen Moment: „Es geht um ein Phänomen, was mich, aber auch viele andere junge, gut ausgebildete Frauen betrifft: Ich darf, ich kann, aber will ich Führungsverantwortung übernehmen? Und wenn nicht, was sind die Barrieren, die mich zurückhalten und verunsichern?“
Um dieser Frage nachzugehen, stand Ermer vor zwei Herausforderungen. Zunächst einmal musste sie eine Generation unter die Lupe nehmen, die zwar vielen ein Begriff, aber nicht klar definiert ist. Ermers Fokus lag dabei darauf, diese Generation im Kontext ihrer beruflichen Karriere zu verstehen. Sie zeichnet dabei das Porträt einer Generation, der Werte wie Selbstverwirklichung, Sinnhaftigkeit und die Erfüllung persönlicher Interessen im Beruf wichtig sind. Wenn Fähigkeiten im Job nicht anerkannt werden, wird der Arbeitsplatz gewechselt oder sich umorientiert. Gleichzeitig scheint diese Generation, die sich an beruflicher Flexibilität und vielfältigen Möglichkeiten erfreut, damit überfordert zu sein. „Die Komplexität und Orientierungslosigkeit der Arbeitswelt führen dazu, dass eine Generation heranwächst, die versucht, Werte wie Sicherheit, Struktur und Stabilität im Privaten zu verwirklichen“, so Ermer. Bei ihrer Recherche zur Generation Y ist Ermer aufgefallen, dass die Problematik der Geschlechterunterschiede keine Berücksichtigung zu finden scheint, zumindest werden diese nicht explizit erwähnt.
Eine weitere Herausforderung, der sich Ermer stellen musste, war die Frage, wie sich überhaupt feststellen lässt, ob und dass jemand führen will. Schließlich wimmelt die Fachliteratur zum Thema Führung nur von Definitionen und einer bestimmten Hands-on-Mentalität: Wie man ein Unternehmen führt, was gute Eigenschaften einer Führungskraft sind und welcher Führungsstil zu einem passt. Ermer hat sich vielmehr auf die Komponente der Führungsmotivation konzentriert. Diese wird als Bindeglied zwischen den Eigenschaften einer Person und dem Führungsverhalten verstanden. Sprich: Je höher die eigene Führungsmotivation ist, desto eher identifiziert man sich mit der Rolle als Führungskraft und zeigt ein entsprechendes Verhalten.
Den Begriff der Führungsmotivation hat Ermer genauer untersucht. In einem ersten Schritt hat sie sich angeschaut, was Antriebsquellen für Motivation im Allgemeinen sein können und sich in einem zweiten Schritt überlegt, welche Werte im spezifischen Kontext von Führung wichtig sein könnten.
Bezüglich des Aspekts der Motivation arbeitet Ermer mit einem Konzept, das Macht, Leistung und Anschluss als sogenannte implizite Basismotive für Motivation identifiziert. Dies bedeutet, dass man Dingen nachgeht, weil die Motivation durch das Ausüben der Tätigkeit selbst hervorgerufen wird. Diese kann beispielsweise dadurch animiert sein, dass jemand nach Gestaltung und Einfluss strebt (Macht), gern Verantwortung übernimmt (Leistung) oder eine Befriedigung durch soziale Kontakte und intensive zwischenmenschliche Beziehungen (Anschluss) verspürt. In Bezug auf die Frage, welche spezifischen Motive existieren, die Individuen Führungspositionen übernehmen lassen, nennt Ermer drei explizite Motive: Spaß an einer Führungsaufgabe, die Erwartung, Vorteile durch eine Führungsposition zu erhalten sowie empfundener sozialer Druck, den man gewillt ist, in Kauf zu nehmen — denn mit großen Aufgaben kommt auch große Verantwortung.
Ob jemand führen will oder nicht, hängt zudem noch von einem weiteren Faktor ab: Selbstwirksamkeit. Dies beschreibt, wie man seine eigenen Fähigkeiten wahrnimmt, einschätzt und mit welcher Überzeugung man versucht, bestimmte Ziele zu erreichen. Wenn man sich nicht viel zutraut, sinkt die Motivation, was sich wiederum in den Ergebnissen widerspiegeln könnte — wer früher schlecht im Matheunterricht war, kann dies gut nachvollziehen. Somit hat auch dieser Faktor Einfluss auf die eigene Motivation und Leistung.
Um die Psychologie des Führens genau zu verstehen, ist vor allem noch eine weiterer Aspekt wichtig: „Jedes Motiv kann aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden — die Wissenschaft nennt dies Annäherungs- und Vermeidungskomponente“, erklärt Ermer. Während erstere Beschreibung ausdrückt, ein Motiv aktiv erreichen zu wollen, drückt letztere den Versuch aus, enttäuschende Ereignisse zu vermeiden. Das Basismotiv Macht kann somit folgendermaßen beschrieben werden: „Streben nach Erfolg vs. Vermeidung von Kontrollverlust“.
Nachdem Ermer herausgefunden hatte, wie sich die Frage der Führungsmotivation in der Generation Y messen lässt, hat sie sich überlegt, wo Unterschiede zwischen den Geschlechtern existieren könnten. Nach umfangreicher Literaturrecherche stellte sie verschiedene Hypothesen auf, die auf Unterschiede in Bezug auf die allgemeine Führungsmotivation abzielten. Sie schaute sich aber auch einzelne Motive an und fragte sich, ob das Macht-, Leistungs- und Anpassungsmotiv bei Frauen anders ausgeprägt ist als bei Männern. Zudem wollte sie wissen, ob sich Frauen in ihrem Führungsselbstbild unterscheiden und wie Führungsmotivation und die Selbstwahrnehmung diesbezüglich zusammenhängen.
Um ihre Hypothesen zu testen, führte Ermer eine online-gestützte Umfrage durch und befragte 226 Männer und Frauen, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurden. Die Ergebnisse bestätigen auf den ersten Blick den Trend der Generation Y: Es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen gefunden— sowohl was die Basismotive angeht als auch die Einschätzung des Führungsselbstbildes. Doch bei genauerem Hinschauen kam etwas anderes zum Vorschein. Ermer hatte die Motive hinsichtlich ihrer Annäherungs- und Vermeidungskomponente untersucht. Dabei stellte sie fest: „Bei allen von mir untersuchten Motiven zeigten Frauen eine ausgeprägtere Vermeidungskomponente als Männer.“ Frauen haben somit eher Angst vor Kontrollverlust, versuchen Misserfolg zu vermeiden und fürchten sich eher davor, von anderen abgelehnt zu werden — oder zu führen. „Dies könnten bestimmte motivatonale Hindernisse sein, die Frauen in Bezug auf ihre berufliche Karriere ausbremsen“, so Ermer. Schließlich macht es einen Unterschied, ob man ständig Angst hat zu versagen oder selbstbewusst an eine Aufgabe herantritt. „Die Wurzeln der Frage des Führungskräftemangels sind vielleicht doch tiefer verankert, als ich zuerst angenommen habe.“
Ermers Arbeit sei allerdings ein Schritt in die richtige Richtung. „Wir können nicht mehr von ‚glauben‘ sprechen, sondern dank dieser Arbeit von empirisch belegtem Wissen“, so Marte. Die Frage ist nun, woher diese Versagensängste kommen. „Möglicherweise liegt es daran, dass es kaum weibliche Vorbilder gibt, sodass es schwer fällt, sich nicht vom ‚think male – think manager!‘- Stereotyp beeinflussen zu lassen“, schätzt Ermer. Die gesellschaftliche Gleichberechtigung sei ein gradueller Prozess, der nicht von heute auf morgen stattfindet — auch nicht in den Köpfen der Frauen. Dies erlebt auch Dr. Angelica V. Marte, die sich als Führungsentwicklerin mit dieser Thematik auseinandersetzt. Sie sieht als eine Lösung für die heutigen komplexen Führungsherausforderungen einen Führungs- und Kulturwandel hin zu einer gender-balanced Führung, die erst ab einem Frauenanteil von 30 Prozent auf allen Leitungsebenen wirken kann. „Auch hierzu haben wir konkrete, empirische Forschung“, sagt Marte. „Generell geht es um Bewusstwerdungs- und Entwicklungsprozesse, die junge Frauen für sich selber reflektieren, und die Begleitung dessen. Hier sind die drei erforschten Themenkreise ‚Vermeidung von Misserfolgglauben‘, ‚Kontrollverlust‘ und ‚Ablehnung‘ wertvolle Wegweiser, welche Foki die Maßnahmen haben sollten. Dies könnten auch Unternehmen in ihren Trainee-Programmen mitberücksichtigen. Eine weitere effektive Maßnahme sind Community-Bildungen für Austausch und Solidarisierung unter Peers. Aber da kommt schon das nächste Thema ums Eck: Konkurrenz unter Frauen mit dem ‚She-or-me‘- oder ‚Queen-Bee‘-Syndrom. Auch das gilt es zu verändern, sonst wird sich der Status Quo nicht verändern.“
Wo und wie man ansetzen kann, um den Ursprung dieser Angst zu verstehen und mit ihr konstruktiv zu arbeiten, ist der nächste Schritt, den Ermer machen möchte. In ihrer Promotion will sie sich damit auseinandersetzen. Wie komplex das Thema ist, bestätigt auch Dr. Angelica V. Marte. Sie sieht dies als ein gesamtgesellschaftliches Thema, in dem es um die Bewusstseinsveränderung von Führungsrollenbildern von Frau und Mann geht, die schon sehr früh entstehen. „Es geht natürlich darum, schon viel früher an Prägungen zu arbeiten. Denn wir können hier leider eine Musterübertragung feststellen.“ Als Beispiel nennt Marte das „Geena Davis Institute on Gender in Media“, das sich mit der Veränderung von Media und Entertainment für Kinder unter elf Jahren auseinandersetzt, um Stereotypenbildung in dieser prägenden Phase zu verändern: „Wenn das Ziel von Mädchenrollen eine Liebesgeschichte ist und das Ziel von Jungsrollen die Welt (und nebenbei die Mädchen) zu erobern, dann ist das ein effektiver Weg zu bleiben, wo wir sind.“
Bis Ermer sich näher mit den Ursachen auseinandersetzen wird, kann sie jungen Frauen folgenden Tipp mitgeben: „Man sollte sich immer dessen bewusst sein, dass man die einzige Person ist, mit der man sein ganzes Leben verbringen wird. Dementsprechend ist es wichtig, mit sich selbst im Reinen zu sein. Authentizität und ehrliches Selbstbewusstsein sind wichtige Attribute, die Führung voraussetzen und die damit verbundene Verantwortung tragen zu können.“
Titelbild:
| "We Can Do It!" by J. Howard Miller, artist employed by Westinghouse, poster used by the War Production Co-ordinating Committee - From scan of copy belonging to the National Museum of American History, Smithsonian Institution, retrieved from the website of the Virginia Historical Society. Licensed under Public domain via Wikimedia Commons.
Bilder im Text:
| World Economic Forum / youtube.com (Pressebilder)
| Fortune Live Media / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
| Bernd Schwabe, Hannover / Eigenes Werk (CC BY-SA 3.0)
| Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm