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Nach ihrem Bachelorstudium in Politischer Wissenschaft und Soziolgie an der Technischen Hochschule Aachen wechselte Carina Schatten 2014 nach Friedrichshafen an den Bodensee. Dort studierte sie bis zum Sommer 2017 Politics, Administration & International Relations an der Zeppelin Universität. Praktische Einblicke gewann sie durch Praktika bei Advice Partners in Berlin, am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden und im Deutschen Bundestag. Aktuell promoviert Schatten an der TU Chemnitz.
Wie ist die Idee zum Thema Deiner Masterarbeit entstanden?
Carina Schatten: Extremistische wie auch terroristische Phänomene und der dem sicherheitspolitischen Diskurs inhärente Konflikt zwischen bürgerlichen Abwehrrechten und staatlichen Schutzpflichten bewegen mich schon seit den ersten Semestern meines Bachelorstudiums. In einem Kurs zu Ausnahmezustand, Folter und Intervention las ich Josef Isensees „Das Grundrecht auf Sicherheit“ – rückblickend war das wohl der Stein, der alles ins Rollen brachte und meine Faszination für Fragen rund um die wechselseitige Beziehung von Freiheit und Sicherheit weckte. Im Laufe der Zeit entdeckte ich dann den Artikel „Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht“ von Günther Jakobs, der mein Interesse für die rechtliche Apparatur zur Abwehr und Bekämpfung (vor allem) terroristisch motivierter Akteure begründete. In meiner Masterthesis wollte ich schließlich einer Fragestellung nachgehen, die mir am Herzen liegt und mir zugleich die Möglichkeit bieten konnte, mich einem Forschungsdesiderat – nämlich den soziologischen Phänomenen einer feindstrafrechtlich gefärbten Gesetzgebung – zu widmen.
Du führst gleich zu Beginn in das gedankliche Konstrukt des Feindstrafrechts von Günther Jakobs ein: Was verbirgt sich dahinter und wie unterscheidet es sich vom Bürgerstrafrecht?
Schatten: Bürger- und Feindstrafrecht sind zunächst einmal gedanklich konstruierte Ideale eines dichotomen Strafrechts. Von Günther Jakobs als „zwei Pole einer Welt“ illustriert, interpretieren sie die staatlich festgelegten Normen gesellschaftlichen Verhaltens auf ungleiche Art. Jakobs unterscheidet zwischen einem Recht, welches das Vergehen eines Bürgers mit einer Strafe ahndet, und einem Recht, welches auf zukünftig angenommene Bedrohungen mit spezifischen Maßregeln reagiert. Den Mittelpunkt des erstgenannten Genus bildet das Rechtssubjekt: der Bürger. Im Fokus des zweitgenannten steht der entpersönlichte Akteur: der Feind. Das Bürgerstrafrecht wahrt also die Normgeltung und repräsentiert somit das klassische Strafrecht. Das Feindstrafrecht dagegen bedient sich Praktiken gegen mutmaßliche Gefahren und veranschaulicht damit die Entwicklung zu einer Bekämpfungsgesetzgebung, in der Grundrechte versagt und rechtsstaatliche Prinzipien unterminiert werden.
Wie charakterisiert der Rechtswissenschaftler Jakobs einen Feind und wieso ist der Begriff Deiner Meinung nach schlecht gewählt?
Schatten: Als Feind beschreibt Günther Jakobs ein Individuum, dessen Benehmen unentwegt nicht der staatlichen Erwartung entspricht und darüber hinaus die Fortdauer desselbigen auf ernstliche Weise zu beschädigen droht. In seinem (privaten) Auftreten begründet, wird ihm verlässliche Rechtstreue – und mit dieser sein Subjektstatus – abgesprochen.
Meine Kritik in Bezug auf Jakobs Verwendung des Begriffs basiert auf seinem unzureichend definierten Wesen, seinen Implikationen und die mit ihm einher gehenden Konnotationen und Inkonsistenzen. Ausführlicher formuliert richtete sich meine Aufmerksamkeit in meiner Masterthesis zunächst auf offenkundige Schwachstellen des Feindbegriffs: Die Etikettierung als Feind wie die ihr inbegriffene partielle Versagung rechtlicher Partizipation verletzen das Gebot der Menschenwürde, das den geistig-sittlichen Wert eines solchen als unantastbar deklariert. Weiterhin verstößt die auf das stigmatisierte Individuum zugeschnittene strafrechtliche Maßregelung gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Über die Verfassungswidrigkeit des Feindkonzeptes hinaus ist insbesondere seine Beschaffenheit zu bemängeln: Der Ausdruck des Feindes verfügt weder über ein zureichend spezifisches Merkmal noch über klar ersichtliche Konturen. Welcher Straftäter zu welchem Zeitpunkt als Feind definiert und damit temporär aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird, lässt Jakobs vermissen. Auch missachtet er Fragen um die Konsequenzen der Stigmatisierung. So muss beispielsweise die Problematik von Inklusion und Exklusion umgekehrt gedacht werden: Was passiert mit den Individuen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden? Bestünde nicht die Option der Inklusion in eine exkludierte Gruppe und der reziproken Bestätigung beziehungsweise Verstärkung der zugeschriebenen Rolle? Was aber wären die Auswirkungen eines solchen Gedankenspiels?
Ohnehin stellt sich die Frage, warum es der Begrifflichkeit des Feindes bedarf und ob die semantisch weniger belastete Formel des Gegners nicht gleichermaßen adäquat ist. Ein anderer Einwand betrifft den Jakob’schen Blickwinkel: Feind bezieht sich auf Personen, die gesetzgebende Gewalt postuliert aber nicht die Bekämpfung bestimmter Delinquenten, sondern die Bekämpfung bestimmter Sachgebiete wie den Terrorismus. Die Erforderlichkeit des Begriffs ist daher zweifelhaft.
Blicken wir auf die deutsche Rechtsordnung: Auf welche Entwicklungen verweisen der Paragraf zur Bildung terroristischer Vereinigungen?
Schatten: Der Paragraf zur Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129a StGB) sowie die ihm inhärenten Folgemaßnahmen sind Zeugnis der fortwährenden Entwicklungstendenz einer Bekämpfungsgesetzgebung innerhalb des deutschen Rechts. Als Schlüsselnorm der Terrorismusbekämpfung versinnbildlicht die Gesetzmäßigkeit den partiellen Übergang von einem Tat- zu einem Täterstrafrecht. Die Erörterung des Tatbestandes sowie die Applikation feindstrafrechtlicher Kennzeichen verweisen auf eine dem Jakob’schen Konstrukt entsprechende Prägung. So kann die Rechtsordnung der Bundesrepublik wenigstens in mancher Hinsicht mit dem Modell Günther Jakobs deskribiert und analysiert werden.
Wo liegen die Vorzüge einer Bekämpfungsgesetzgebung? Was sind umgekehrt die negativen Begleiterscheinungen?
Schatten: Für gewöhnlich werden Vorschriften im Hinblick auf ihre Effektivität in der strafrechtlichen Realität bewertet. Zusätzlich der Quoten eingeleiteter Ermittlungsverfahren und Anklagen erscheint die Häufigkeit der Verurteilungen als valide Variable der Qualität eines Gesetzes. Allein die Fähigkeiten, einen Straftäter seinem widerrechtlichen Betragen nach maßregeln zu können und infolgedessen die Rechtsordnung des Staats zu wahren, wirken relevant. Im Idealfall verfügt eine Norm zudem über generalpräventive Effekte, die sich bereits im Vorfeld einer Straftat regulativ entfalten. Als Negativum ist neben der augenscheinlichen Verletzung staatlicher Garantien und individueller Freiheitsrechte auch das Zuwiderhandeln gegen das Tatprinzip eines rechtsstaatlichen Strafrechts aufzuführen: Nicht die verwirklichte Tat, sondern der Täter und ihm zugewiesene Eigenschaften bilden die Grundlage des Strafverfahrens. Im Mittelpunkt steht nicht länger die Ausführung eines Delikts, sondern die angenommene Intention eines solchen. Der Eingriff in das Internum der Person und die vorgezogene Beurteilung ihrer Handlung als strafbar kennzeichnen den Übergang von einem Tat- zu einem Täterstrafrecht.
Doch mögen entsprechende Paragrafen auch partiell Rechte einschränken und damit das Vertrauen Einzelner in den Rechtsstaat erschüttern, schützen sie gleichzeitig das Kollektiv – explizit durch die Bekämpfung von gefährlichen Straftätern, implizit durch die Versinnbildlichung von Wehrhaftigkeit. Die einer Bekämpfungsgesetzgebung inhärenten Symbolfunktionen erklären den Nutzen von Exklusion und Illusion kognitiver Sicherheit. Das gesellschaftliche Zusammenleben ist schließlich auf die Aufrechterhaltung fiktionaler Sicherheit angewiesen, um – mit Rekurs auf Niklas Luhmann – wenigstens das notwendige Maß individueller Erwartungssicherheit zu gewährleisten. Indes existieren natürlich auch weniger offensichtliche Wagnisse. Das Augenmerk liegt hier auf der Frage, ob als vorteilhaft verkündete Entwicklungen nicht nachteilige Folgeerscheinungen bewirken: Es sind die Gefahren des sozialen Prozesses der Etikettierung und der Zuschreibung einer Rolle sowie die Konsequenzen einer „self-fulfilling prophecy“ (einer irrtümlichen Vorhersage spezifischen Verhaltens), die mir wesentlich erscheinen.
Wie lautet Dein Fazit: Ist das Feindstrafrecht als Zauberformel gegen den Terrorismus anzusehen?
Schatten: Eine feindstrafrechtlich gefärbte Gesetzgebung verfügt über Vorzüge und Wagnisse impliziten sowie expliziten Naturells. Ihre finale Evaluation fällt demgemäß schwer. Zwischen Freiheitsrechten und Schutzpflichten manifestiert sich das Dilemma einer zugleich effektiven wie auch verfassungskonformen Legislation. Um Heribert Prantl zu zitieren, scheint es, als könne nur ein „Erosionsprozess des Rechts“, nämlich die weitreichende, beinahe vollumfängliche Verletzung der Freiheitsrechte eine vermeintlich fundierte Bewertung individuellen Betragens und damit Rechtsgüterschutz ermöglichen. Der Konflikt um den zweideutigen Charakter der staatlichen Schutzpflicht offenbart sich alsdann in einem Ausspruch des deutschen Rechtswissenschaftlers Franz von Liszt, der Strafe als „Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung“ identifizierte. Endlich ist allein die strafrechtliche Realität befähigt, eine ebensolche Gesetzgebung ob ihrer Effektivität zu beurteilen – eine Zauberformel ist das Feindstrafrecht aber sicherlich nicht.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Redaktionelle Umsetzung: CvD