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Lucia A. Reisch, 1964 in Stuttgart geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften in Hohenheim und schloss 1988 als Diplomökonomin ab. In Hohenheim promovierte sie 1994 summa cum laude. Nach Tätigkeiten in Stuttgart, Kopenhagen oder Ludwigsburg ist sie seit 2011 ständige Gastprofessorin für Konsumforschung und
Verbraucherpolitik an der Zeppelin Universität. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den Gebieten Verbraucherschutz, Nachhaltigkeit, Verhaltensökonomik und Gesundheitswissenschaften. Darüber hinaus ist sie unter anderem Vorsitzende des unabhängigen Sachverständigenrats für Verbraucherfragen, Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung und Chefredakteurin des Journal of Consumer Policy.
(2014) [Cass R. Sunstein & Lucia A. Reisch]. Automatically green: Behavioral economics and environmental protection. Harvard Environmental Law Review, 38(1), 127-158.
(2017) [Cass R. Sunstein & Lucia A. Reisch (Hrsg.)]. The economics of nudge. Routledge Major Works Collection. Series: Critical Concepts in Economics. London: Routledge, 4 Bände.
(2017) [Cass R. Sunstein, Lucia A. Reisch & Julius Rauber]. A worldwide consensus on nudging? Not quite, but almost. Regulation & Governance
(2017) [Lucia A. Reisch & Min Zhao]. Behavioural economics, consumer behaviour, and consumer policy: State of the art. Behavioural Public Policy, 1(2)
Im Sommer 2017 saß ich bei einem Abendessen an der Stockholm School of Economics neben zwei schwedischen Kollegen, die dem Nobelpreiskomitee angehören. Wie so häufig in Stockholm, so drehte sich auch dieses Gespräch um den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis. Ich konnte ich es nicht lassen, den beiden meinen Favoriten zu nennen und die Reaktionen der Geheimnisträger zu testen. Die beiden Kollegen haben beim Namen „Richard H. Thaler“ zwar kurz gestutzt, dann aber ganz gelassen erklärt, er stünde ja schon seit Jahren auf der „Short List“ – und man wisse natürlich nie.
Heute ist es tatsächlich so weit: Thaler bekommt in Stockholm hochverdient den Preis der Schwedischen Reichsbank gestiftet („in Gedenken an Alfred Nobel“), und zwar „für seine Arbeiten zur Verhaltensökonomik“. Tatsächlich war es keine ganz große Überraschung, immerhin wurde er doch 2015 zum Präsidenten der einflussreichen „American Economic Association“ gewählt – und damit gewissermaßen zum „Gott Vater“ der US-amerikanischen Ökonomen. Bereits 2002 war der Wirtschaftsnobelpreis an einen Wegbereiter der Verhaltensökonomik vergeben worden (Daniel Kahneman), wodurch dieser Bereich aus der Nische in Richtung ökonomischer Mainstream gelangte.
Tatsächlich hat in den USA und den angelsächsischen Ländern die Öffnung der Wirtschaftswissenschaften schon vor vielen Jahren begonnen – Thaler war und ist sicherlich einer der wichtigsten und hartnäckigsten Treiber. War er an seiner ersten Station als Professor an der Cornell University noch ein oft belächelter und bekämpfter Exot, so wuchs sein Einfluss langsam aber stetig an der University of Chicago, der Hochburg nicht nur der Nobelpreise für Wirtschaft, sondern auch des neoklassischen Wirtschaftsliberalismus. Seine wunderbar humorvollen Memoiren „Misbehaving: The Making of Behavioral Economics“ (2015) sind voll von Anekdoten über die harte und wenig herzliche Auseinandersetzung mit dem etablierten neoklassischen Mainstream der berühmten „Chicago School“. Und wer die Pressekonferenz der University of Chicago am Tag seiner Nominierung verfolgt hat, der ahnt etwas von dem Stachel im Fleisch, den Thaler über Jahrzehnte bei den „Chicago Jungs“ gewesen sein muss. In seinen eigenen selbstironischen Worten: „A pain in the a…“.
Thaler baut auf den Arbeiten Vieler auf, auf Jahrzehnten intensiver Forschung der ökonomischen Psychologie, der Kognitionsforschung, der experimentellen Ökonomik, der Konsumforschung und anderer Bindestrich-Disziplinen. Besonders einflussreich sind die Arbeiten der Nobelpreisträger Herbert A. Simon und Daniel Kahneman (gemeinsam mit dem früh verstorbenen Amos Tversky). Und noch viele andere wären zu nennen, in Europa etwa der in der Schweiz arbeitende Ernst Fehr.
Die grundlegendste Aussage und damit der wichtigste disziplinäre Fortschritt seiner Arbeiten kann man stark verkürzt so wiedergeben: Die Wirtschaft wird von Menschen gestaltet. Menschen sind, selbst als Wirtschaftssubjekte, keine perfekt rationalen „Homo Oeconomici“ („Econs“) – eine Kunstfigur der Neoklassik –, sondern „humans“. Diese haben Verhaltensfehler (Biases), nutzen vereinfachte Entscheidungsregeln (Heuristiken), verfügen nur begrenzt über Selbstkontrolle und Disziplin, agieren oft emotional, spontan oder auch habituell, maximieren nicht nur ihren Nutzen, sondern interessieren sich ebenso für Fairness und prosoziale Normen. Unscheinbare, oft äußerliche Faktoren – er nennt sie „sifts“ („seemingly irrelevant factors“) – können in einer Entscheidungssituation großen Einfluss haben. Wenn man mit Modellen die Realität erklären und Erkenntnisse dazu einsetzen möchte, um Dinge zu verändern, dann sollte man ein solches empirisches Bild vom Menschen zugrunde legen und kein abstraktes.
Wie dies im Einzelnen konkret geschehen kann, welche „Stupser“ („nudges“) wo und wie eingesetzt werden können, und wie der Staat die Menschen dadurch zu mehr Wohlstand, Zufriedenheit und Gesundheit anregen kann ohne sie in ihrer Freiheit zu beschränken, das hat Thaler zusammen mit seinem Koautor, Freund und Harvard-Professor Cass Sunstein – einem der meistzitierten Juristen weltweit und Kooperationspartner des Forschungszentrums Verbraucher, Markt und Politik (CCMP) an der ZU – in der Pop-Version ihrer gemeinsamen Arbeiten zum Libertären Paternalismus, dem Buch „Nudge“ (2008), unterhaltsam skizziert. Obwohl das Werk bis heute weltweit ein Bestseller ist, möchte Thaler im Übrigen keine Neuauflage schreiben – die alte Version sei gut genug.
Titelbild:
| Adam Baker / Flickr.com (CC BY 2.0) | Link
Bilder im Text:
| Chatham House, London / Flickr.com (CC BY 2.0) | Link
| remocean / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Lucia A. Reisch
Redaktionelle Umsetzung: CvD