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Seit 2009 leitete Prof. Dr. Marcel Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an der Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er zu Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften. 2017 übernahm er den Lehrstuhl Banking and Finance an der Universität Witten/Herdecke und blieb der Zeppelin Universität als Gastprofessor für Economics of Financial Institutions erhalten.
Mit dem Nobelpreis für Wirtschaft sind in diesem Jahr mit Paul Romer und William Nordhaus zwei Forscher ausgezeichnet worden, die sich mit absolut fundamentalen Fragen der Ökonomie – nämlich: Was bestimmt die Wachstumspfade unterschiedlicher Volkswirtschaften? Und wie hängen Klimawandel, ökonomisches Wachstum und Schadstoffausstoß in die Atmosphäre zusammen? – befasst haben. Sie haben zu diesen Fragestellungen bahnbrechende und politisch relevante Erkenntnisse geliefert und damit die Wirtschaftswissenschaften der vergangenen 30 Jahre maßgeblich geprägt. Zudem haben Romer und Nordhaus neben ihren preisgekrönten Forschungsarbeiten eine Reihe von weiteren Forschungsimpulsen gesetzt, die belegen, dass beide auch zu den innovativsten Wirtschaftswissenschaftlern unserer Zeit zählen.
Der Ausgangspunkt für beide Wissenschaftler ist die Wachstumstheorie, die von Robert Solow in den 1950er-Jahren entwickelt wurde – dafür erhielt der US-amerikanische Ökonom im Jahre 1987 den Wirtschaftsnobelpreis. Romer startete seine Forschungsagenda ausgehend von der empirischen Beobachtung, dass in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Einkommenswachstumsraten von Land zu Land sehr stark variierten und insbesondere einkommensschwächere Länder oft kein stärkeres Wachstum zeigten als die sowieso schon einkommensstarken Länder – damit war kaum eine Konvergenz im Volkseinkommen pro Kopf zwischen den Ländern festzustellen.
Dies war allerdings nicht mit der Solowschen Theorie vereinbar, die ein aufholendes Wachstum der einkommensschwächeren Länder prognostizierte. Der Grund lag darin, dass technologischer Fortschritt, der eine entscheidende Triebfeder für langfristiges Wachstum und Wachstumsraten von Volkswirtschaften ist und damit auch als Erklärung für die persistenten Unterschiede im Wachstum von Volkswirtschaften taugt, in der Theorie von Solow nur als exogener Faktor und somit als „Black Box“ erfasst werden konnte.
Hier setzte Paul Romer an. In zwei Forschungsarbeiten, die im Jahre 1986 und 1990 veröffentlicht wurden, untersuchte er die ökonomischen Prinzipien, die Ideen für neue Güter und Dienstleistungen in einem marktwirtschaftlichen Umfeld generieren und insofern technologischen Fortschritt und Innovationen fördern können. Er integrierte diese Prinzipien in die Solowsche Wachstumstheorie und endogenisierte damit den technologischen Wandel, so dass seine Modelle als Startpunkt der sogenannten endogenen Wachstumstheorie bekannt wurden.
Der Ausgangspunkt der Überlegungen von Romer ist, dass Ideen andersartige Güter sind als beispielsweise Maschinen oder Humankapital. Letztere sind rivalisierende Güter: Eine bestimmte Maschine kann zum Beispiel nicht gleichzeitig in zwei verschiedenen Fabriken eingesetzt werden, für den gleichzeitigen Einsatz benötigt es zwei Maschinen. Ideen dagegen sind nicht-rivalisierend: Der Einsatz einer Idee in einer Fabrik schließt nicht den gleichzeitigen Einsatz in einer anderen Fabrik aus. Auf der anderen Seite unterscheiden sich Güter und Dienstleistungen danach, inwieweit man andere potentielle Nutzer durch Regulierungen und institutionelle Mechanismen bewusst ausschließen kann. Grundlegende Erkenntnisse wie der Satz des Pythagoras gehören zu denjenigen Ideen, von denen man kaum jemanden ausschließen kann, während ein bestimmter Softwarecode sehr viel besser geschützt werden muss.
Romer zeigte nun, wie Nicht-Rivalität und Ausschließbarkeit von Ideen das ökonomische Wachstum determinieren können. Er wies nach, dass ein funktionierender Marktmechanismus zur Ideengenerierung einerseits sicherstellen muss, dass die Fixkosten der ursprünglichen Ideenproduktion für den Innovator gedeckt sein müssen (trotz vernachlässigbarer Grenzkosten in der Replikation beziehungsweise Reproduktion), aber andererseits auch genügend Anreize bestehen sollen, neue Innovationen zu entwickeln. Diese sollten dann auch hinreichend schnell in die Volkswirtschaft diffundieren, um die Gesamtproduktivität zu erhöhen und Fortschritt zu generieren, von denen möglichst viele partizipieren können. Die Politik kann hier etwa durch Patentschutz, Subventionen, Steuern und Wettbewerbsregeln regulierend eingreifen, um eine Balance zwischen einer hinreichenden Anreizsetzung zur Generierung neuartiger Ideen und einer möglichst breiten Nutzung im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt zu erreichen. Die Länder, in denen dies funktioniert, befinden sich, so Romer, langfristig auf einem stabilen positiven Wachstumspfad, von dem potentiell auch alle Bürger profitieren können.
Auch Nordhaus setzte beim Solowschen Wachstumsmodell an. Er startete seine Forschungen in den 1970er-Jahren, als eine immer stärkere Evidenz aufkam, dass menschliche Aktivität aber insbesondere auch spezifisch die Wirtschaftsweise zur globalen Erwärmung beiträgt. Insofern erweiterte auch er das etablierte Wachstumsmodell, in dem er sich mit den „Spillover“-Effekten beschäftigte, die durch die globale Erwärmung verursacht werden (die wiederum durch den Kohlendioxid-Ausstoß verursacht wird). Anders als Romer, der die potentiellen positiven Externalitäten resultierend aus technologischem Fortschritt analysierte, fokussierte Nordhaus seine Analysen auf die potentiell negativen Effekte. Er entwickelte sogenannte „Integrated Assessment Models (IAMs)“, in denen er – basierend auf naturwissenschaftliche und ökonomische Erkenntnisse – dynamische Gleichungsmodelle zur Klimaveränderung aufstellte, welche die Interaktion zwischen Natur und Gesellschaft abbilden können.
Diese Modelle enthalten drei Teilmodule: ein erstes Teilmodul, welches den Zusammenhang zwischen CO2-Emission und CO2-Konzentration in der Atmosphäre beschreibt, ein zweites Teilmodul, welches den Zu- und Abfluss von Energie auf der Erde in Abhängigkeit der Schadstoffkonzentration in der Atmosphäre skizziert und damit die globale Temperaturveränderung ermittelt, und ein drittes Teilmodul, welches berechnet, wie sich – im Anbetracht dessen, dass Energie ein wichtiger Produktionsfaktor ist – unterschiedliche Klimapolitiken wie C02-Steuern auf die Gesamtökonomie und den CO2-Auststoß auswirken und damit auch die zeitliche Entwicklung von Bruttosozialprodukt, globalen C02-Emissionen, aber auch von durch den Klimawandel verursachten Schäden abbildet.
Diese hochkomplexen Klimamodelle, die heute die Grundlage fast aller Berechnungen bilden, hat Nordhaus in den 1990er-Jahren in ihren Grundlagen entworfen und angewendet. Daraus wurden dann bestimmte Szenarien der CO2-Emissionen in Abhängigkeit unterschiedlicher Klimapolitiken entwickelt, die gesellschaftliche Kosten und Erträge der globalen Erwärmung berücksichtigen. Nordhaus hat zudem Politikempfehlungen ausgesprochen. Das für ihn effizienteste Instrument ist eine global einheitliche CO2-Steuer. Ähnlich könnten auch gehandelte CO2-Zertifikate wirken, sofern die Anzahl der handelbaren Zertifikate insgesamt so gering ist, dass sich ein hinreichend großer Handelspreis für CO2 ergibt. Ohne Nordhaus – das kann man mit Fug und Recht behaupten – würde die Klimawandeldiskussion heute auf einem sehr viel weniger gefestigten wissenschaftlichen Fundament stehen.
Neben diesen bahnbrechenden Forschungsarbeiten waren Romer und Nordhaus auch in anderen wirtschaftswissenschaftlichen Teilgebieten und Diskussionsfeldern gerade in den vergangenen Jahren aktiv. So hat Romer, der im Erststudium Mathematik studiert hat, in mehreren aufsehenerregenden Fachaufsätzen vor drei Jahren die eigene ökonomische Zunft stark dafür kritisiert, dass sie inhaltlich gerade in der Makroökonomie in den 1970er-Jahren stehen geblieben ist, weltfremde mathematische Modelle nur um der Mathematik wegen entwirft und dabei relativ bind Autoritäten des Fachs folgt. Nordhaus dagegen hat sich in einem hochinteressanten Forschungsaufsatz im Jahre 2015 mit der Frage beschäftigt, ob mit den Fortschritten der künstlichen Intelligenz die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass es zu Singularitäten kommt, die den Wachstumspfad der Volkswirtschaften dauerhaft erhöhen. Das Nobelpreis-Komitee hat zwei brillante Forscher ausgezeichnet, die Rigorosität in der Wissenschaft mit Wirkmächtigkeit in der Politik verbinden.
Titelbild:
| Adam Baker / Flickr.com (CC BY 2.0) | Link
Bilder im Text:
| Illustration: Niklas Elmehed / Nobel Media (alle Rechte vorbehalten)
| Geralt / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm